Kapitel 13
Dritter Abschnitt: I. Von der Fähigkeit der Indianer
Die ersten Eroberer von Amerika waren viel unvernünftiger als die dümmsten Indianer. Sie waren so gottlos, diese Leute für Bestien oder Affen anzusehen: sie brandmarkten und versklavten sie. Sie schlugen sie hemmungslos tot. Zur ewigen Schande der Menschheit war es nötig zu erklären, ja durch päpstliche Befehle als einen Glaubensartikel zu verkünden, daß diese Leute unsere Mitbrüder und wahre Menschen sind. Die Grausamkeit der Spanier ging so weit, daß sie unmenschlicherweise viele 1000, ja, Millionen Seelen ihrem Geiz geopfert haben.
Wer einen Indianer gesehen hat, hat alle gesehen. Vom Süd- bis zum Nordpol haben sie mit wenigen Unterschieden gleiche Maxime und Lebensart an sich. Wenn ich einen beschreiben soll, sage ich: (nachfolgend Lateinisch, gleich aber ins Deutsche übersetzt) Der Indianer ist ein ursprünglich rationales Wesen, im Weiteren aber auf wenig vernünftige Weise dem Betrug und dem Diebstahl zugeneigt.
Seine Eigenschaften sind Mißtrauen, Zurückhaltung, Frechheit im Auftreten, Zaghaftigkeit im Widerstand.
Allerdings sind sie auch begabt genug, höhere Ausbildung zu bekommen, aber weil es daran mangelt, bleiben sie immer Indianer. Daß Europäer aufgeklärteren Verstand (189) besitzen, haben sie ihren Vorfahren, Lehrern, täglichen Ermahnungen und dem gesitteten Umgang mit anderen Leuten zu verdanken, sonst würden sie ebenso elend bleiben, wie sie von Geburt aus waren. … Indessen ist doch gewiß, daß diese von Kindheit an sich selbst überlassenen und in der Wildnis geborenen Menschen, insoweit als sie kein anderes Beispiel bei ihren Eltern sehen, keinen höheren vernünftigen Gedanken entwickeln können. Die um die Städte wohnenden Indianer sind aufgrund des Umgangs mit den Spaniern ziemlich geschliffen, verrichten alle Feldarbeiten, werden geschickte Handwerker, auch kunstvolle Bildhauer und Maler. Diejenigen, die von reichen Eltern zum Studium bestimmt sind, werden ziemlich gute Grammatiker und Redner, verstehen ganz gut die Sittenlehre und Arzneikunst, so daß viele von ihnen Priester und Pfarrer werden. Aber Metaphysik und spekulative Theologie will ihnen nicht in den Kopf. Zur Kenntnis der Sprachen sind sie freilich für ihre Landsleute sehr nützliche Seelsorger. Sie sind begierig etwas zu lernen, ja recht vorwitzig.
Es ist aber nicht gut, ihnen viel zu lehren, wie ich bei meinen Indianern merkte. Ich habe die um mich her laufenden Jungen Schreiben und Lesen gelehrt, was sie viel leichter aus natürlichem Antrieb als ein europäisches Kind mit Schlägen oder Liebkosungen erlernt haben. Ich legte aber bald meinen Schuldienst wieder nieder, weil kein Buch vor (190) ihnen sicher war. Sie öffneten aus Mißtrauen die Briefe und lasen ihren Leuten daraus vor.
Sie studierten deswegen umso eifriger für sich selbst, und weil ihnen Papier fehlte, streuten sie Asche auf den Boden, glätteten sie mit einem Stock und zeichneten mit einem hölzernen Stift Buchstaben und Wörter, auch Blumen und allerhand Züge ganz deutlich darauf. In den Missionen sind sie bemüht etwas zu lernen, damit sie nicht mit allen anderen zur Feldarbeit gezwungen werden, sondern Meister in irgendeiner Sache genannt werden. Bei wenigen Anleitungen geben sie sich viele Tage lang mit größter Geduld die Mühe, das Angegebene zu reproduzieren. Was ich an Schreinerarbeit haben wollte, zeichnete ich ihnen auf Papier vor, was ich an Schlosser- oder Schmiedearbeit verlangte, habe ich für sie aus Lehm oder Wachs vorgebildet, und sie ahmten alles, wenn nicht perfekt, so doch gut und zum menschlichen Nutzen nach. Allerdings mußte ich oft aufpassen, daß die Fugen richtig aufeinander schlossen. Auf diese Art bauten sie mir Stühle, Sessel, Bänke, Tische, Türen, Fenster aus Brasil-, Eben- oder Schlangenholz. Schlechteres Holz kann man wenig finden; noch besseres und wohlriechenderes wird zum Kochen verbraucht.
Bei mir waren Indianer, die sich Geigen und Harfen, auch Zittern gemacht haben, wofür sie außer einem alten Messer und scharfen Feuerstein kaum ein Werkzeug gebrauchten. Um diese zu beziehen (to equip with strings), stahlen sie allezeit, wenn ein Hammel geschlachtet wurde, die Gedärme und machten Saiten daraus. Ich hatte einige Männer, die ziemlich gute Schneiderarbeiten wie Mäntel, Anzüge und Hosen herstellten. Die Frauen, die fast die ganze Last schwerer Arbeit tragen müssen, sind auch sehr geschickt. Sie spinnen die Baumwolle so fein und färben sie mit Hilfe von Baumblättern oder Rinden mit einer ewig haltenden Farbe. Sie stellen ohne Webstuhl (loom), nur mit 4 in die Erde geschlagenen Stöcken so dauerhafte Gewebe von Tischtüchern, ohne vorgelegtes Muster her, daß es ihnen nicht leicht eine Frau in Deutschland nachmachen wird. Die Arbeit (der Teppich) ist so dicht, daß das gespannte Tuch, ohne daß auch nur ein Tropfen hindurch käme, selbst den stärksten Regen aushält. Ich sah von ihnen Nadelarbeit, die sie mit Seide oder gefärbter Wolle herstellten und die schönsten Blumen, Tiere und allerlei Figuren in ihre Hemden und Kleider stickten.
Ich mußte ihnen jährlich einen ziemlichen Vorrat von Flockseide, gefärbter Wolle und kleinen Bändchen kommen lassen, die sie zu ihrem Schmuck von mir erbettelten. Sie machten die feinsten Teppiche von Palmzweigen oder Rohren mit unterschiedlichen Figuren ohne (jegliches) Vorbild, bloß aus dem Kopf….. (192)
(193) Das Künstlichste, was ich besonders bei den ansonst dummen Pimas bewunderte, sind schüsselförmige runde Körbe (Coritas). Diese stechen sie aus einem hornförmigen, wie eine Ahle spitzigen Unkraut. Sie machen sie so dicht, daß man Wasser darin tragen und Essen hinein tun kann. Der Unterschied der weißen und schwarzen Farben in allerlei Figuren machte diese Körbe so ansehnlich, daß man den vornehmsten Herren mit diesen ein Geschenk machen kann, das als ein seltenes Stück gilt. Die Arbeit ist so schwer, daß ihnen das Blut aus den Fingern läuft und keiner mehr als 2 Stunden daran arbeiten kann. [They made coritas for me of such size that these could be used as kneading-troughs. Women even use the large baskets as little boats, for they place infants wrapped in swaddling clothes into such a corita, leap into the river, push the basket with theleft and paddle with the right until they have swum to the other shore; thus they also transport foodstuff].
(194) Alles dieses geht von Hand zu Hand, dies lehren die Mütter ihre Töchter. Es bedeutet viel, daß sie für sich anfänglich diese Sachen erfanden. Sie sind sehr neugierig und begierig, alles zu wissen und zu sehen. Ich hatte mit ihnen manchen Spaß, da ich ihnen abwechselnd einen großen Spiegel in die Hand gab. Sie betrachteten sich und zweifelten noch, ob sie sich selbst sahen. Sie standen ganz erstaunt, manche griffen wie die Kinder nach dem Bild; andere wollten hinter dem Spiegel die Person ergreifen; andere hätten vor Schrecken den Spiegel fallen lassen, wenn ich ihn nicht selbst jederzeit an einer Schnur vorgehalten hätte. Viele Jungen und Mädchen liefen, sobald sie sich erblickten, mit Heulen und Schreien davon. Sooft ich (ihnen) den Spiegel zeigte, wenn sie Lärm bei meiner Wohnung machten, liefen sie sogleich davon.
Fragen zum Text:
1. Wie reflektiert Och die offizielle Meinung der Jesuiten gegenüber den Indianern wider?
2.Wo spiegelt Och den Zeitgeist der Aufklärung wider?
3. Mit welchen Worten beschreibt Och die Pimas und auf welche Erfahrungen stützt er seine Beschreibungen?
4.Was sagt Och zum Verhältnis der Pimas zum spekulativen Denken?
5. Versuchen Sie, Och aus Sicht der Pimas zu beschreiben. Erklären Sie, warum die Pimas so bereitwillig lesen, schreiben und schreinern lernten.
6.Wie würden Sie die Beziehung zwischen Och und den Pimas (heute: Tohono’ Ohodham) bezeichnen?
Zur Grammatik:
Hätten Sie’s gewußt?
“Andere hätten vor Schrecken den Spiegel fallen lassen, wenn ich ihn nicht selbst jederzeit an einer Schnur vorgehalten hätte.”
Das Partizip Perfekt von ‘lassen’ ist ‘gelassen’; wird ‘lassen’ jedoch zusammen mit einem Vollverb gebraucht, verwenden wir den Infinitiv ‘lassen.’ ‘Lassen’ verhält sich in diesem Sinne wie ein Modalverb.
Präpositionalpronomen [da- and wo-compounds]
Beispiele aus dem Text:
Er sandte uns jedoch einen Korb mit schönen Kirschen und Aprikosen, dazu (fügte er) einen Paß für das ganze venezianische Gebiet
In kürzester Zeit waren alle Melonen verkauft, weil schon viele hunderte von Spaniern darauf warteten.
Die meisten ließen es sich kaum träumen, daß die Reise noch am Weihnachtstag beginnen sollte. Es wurde aber wirklich Ernst daraus. (34)
Präpositionalpronomen wie ‘dazu,’ ‘darauf,’ oder ‘daraus,’ ersetzen ein schon genanntes, sächliches Objekt, zu dem nun Neues mittels einer Präposition angeknüpft wird. Ohne diese Pronomen müßten wir das schon genannte Objekt wiederholen:
… zu diesem Korb fügte er einen Paß …
… weil schon viele Spanier auf diese Melonen warteten.
Es wurde aber Ernst aus dieser Reise.
Präpositionalpronomen werden gebildet, indem man der Präposition die Vorsilbe ‘da-’ (oder auch ‘hier-’) voranstellt. Beginnt die Präposition mit einem Vokal, fügt man ein ‘r’ hinzu: da-r-an, da-r-auf.
Die verwendete Präposition ist oft vom Verb abhängig:
fügen zu: dazu fügen
warten auf: darauf warten
Ernst werden aus: Ernst daraus werden
Präpositionalpronomen können auch vorverweisen:
Viele Spanier warteten schon darauf, daß die Melonenverkäufer kommen.
Viele Spanier warteten schon darauf, sich eine Melone kaufen zu können.
Auch Fragepronomen mit ‘wo’ [wo-compounds] werden auf diese Weise gebildet:
Wozu fügte der Kommandant einen Paß?
Worauf warteten schon viele Spanier?
Woraus wurde Ernst?
Übungen
1.Bestimmen Sie in den nachfolgenden Sätzen die Präpositionalpronomen. Nennen Sie das Verb und die Präposition, die den Präpositionalpronomen zugrunde liegt.
1.1. So angenehm dieses Haus ist, so hätten wir doch gerne darauf verzichtet, wenn wir nur bald hätten absegeln können.
1.2. Die pimische Sprache hat Pater Sedelmeyer in 10jähriger Arbeit zu Regeln gebracht und ein Wörterbuch davon geschrieben. (75).
1.3.Pater Sedelmeyer und Nentwig waren 3 Tage und Nächte in ihrem Haus belagert und mußten darin im Rauch und Dampf herumgehen. (75).
1.4.Sie öffneten aus Mißtrauen die Briefe und lasen ihren Leuten daraus vor. (190)
1.5.Sie streuten Asche auf den Boden und zeichneten mit einem hölzernen Stift Buchstaben und Wörter, auch Blumen und allerhand Züge ganz deutlich darauf. (190)
1.6.Sie stahlen die Gedärme und machten Saiten daraus. (190)
2. Leiten Sie aus den in der Übung 1 genannten Sätzen Fragen mit Präpositionalpronomen ab.
2. Verkürzen Sie die nachfolgenden Sätze durch Präpositionalpronomen.
Beispiel: Sie streuten Asche auf den Boden.
Sie streuten Asche darauf.
3.1.Besseres Holz wird zum Kochen gebraucht.
3.2.Ich zeichnete ihnen auf einem Papier vor, was ich haben wollte.
3.3.Die Frauen stechen aus einem spitzigen Kraut runde Körbe.
3.4.Mit diesen Körben konnte man den vornehmsten Herren ein Geschenk machen.
3.5.Manche griffen wie die Kinder nach dem Bild.
2. Formen Sie die nachfolgenden Sätze um in einen einleitenden Satz mit Präpositionalpronomen und Nebensatz.
Beispiel:Die Reisenden dankten für den Obstkorb, den ihnen der Kommandant geschickt hatte.
Die Reisenden dankten dafür, daß ihnen der Kommandant einen Obstkorb geschickt hatte.
4.1.Der Brief des Bruders Burchard diente zur Unterweisung der Pater für Spanien.
4.2.Alle Passagiere wurden durch einen Kanonenschuß aufgefordert, sich an Bord einzufinden.
4.3.Die blinden Passagiere halfen den Matrosen beim Reinigen des Schiffsdecks.
Anmerkungen zur Steigerung und zum Gebrauch von Adjektiven
Beispiele aus dem Text:
Die ersten Eroberer von Amerika waren viel unvernünftiger als die dümmsten Indianer.
Allerdings sind sie auch begabt genug, höhere Ausbildung zu bekommen.
Schlechteres Holz kann man wenig finden; noch besseres und wohlriechenderes wird zum Kochen verbraucht.
Adjektive besitzen eine Grundstufe, einen Komparativ (Suffix: -er), und einen Superlativ (Suffix: -(e)st). Dazu gibt es folgendes zu beachten:
1. Manche Adjektive bilden ihre Steigerungsformen mit Umlaut (dumm/dümmer);
2.manche verändern ihren Endkonsonanten oder lassen ihn aus (hoch/höher);
3. einige wenige benutzen bei der Steigerung ganz andere Wortformen (gut/besser).
Wer sich unsicher ist, ziehe ein Wörterbuch oder eine Grammatik zu Rate!
Gesteigerte Adjektive können wie die Grundform nominalisiert werden. Die Endungen der nominalisierten Adjektive stimmen mit denen der Adjektive überein.
Beispiele:
Die Vornehmsten von Alicante besuchten uns.
Das Künstlichste, was ich bei den Pimas bewunderte, sind schüsselförmige runde Körbe.
Übungen
1. Steigern Sie die folgenden Ausdrücke
1.1.die schönen Kirschen und Aprikosen
1.2.das gute Obst
1.3.die lange Postkutschenreise
1.4.die felsigen und gefährlichen Wege
1.5.ein angenehmer Tag
1.6.mit großer Mühe
1.7.ein starker Regen
1.8.der große Ärger
1. Nennen Sie die Grundform der Adjektive in folgenden Wendungen Übersetzen Sie die Adjektive ins Englische. (Im Zweifelsfalle hat Wahrigs Deutsches Wörterbuch oder der Duden die Antwort!)
2.1.meine früheren Schüler
2.2.unsere weitere Reise
2.3.nicht die geringste Spur früherer Gebäude
2.4.die ersten Eroberer von Amerika
2.5.im Weiteren
2.6.beim nächsten Bürgermeister
1. Substantivieren Sie die Adjektive in den folgenden Ausdrücken:
3.1.das wohlriechendste Holz
3.2.diese unvernünftigen Leute
3.3.der schnellste Läufer
3.4.die besten Korbflechterinnen
3.5.die beste Weberin