Kapitel 14
II. Gebräuche der Indianer (195)
In ihren Gebräuchen sind die Indianer geheimnisvoll gegen die Missionare. Auch denen, die sonst gute Christen sind, klebt allezeit etwas von dem alten Sauerteig des Unglaubens an. Aus Furcht, deswegen bestraft zu werden, halten sie die Sache geheim, und wohl nur bei der Abwesenheit des Paters halten sie ihre heimlichen Zusammenkünfte, wo immer manche Gebräuche vorkommen, die sie von ihren Vorfahren geerbt haben, teils lächerliche, teils abergläubische Gebräuche, die von einigen verstockten Alten beibehalten und mündlich den Nachkommen vermittelt werden. Sehr oft, wenn sie nächtliche Tänze und Rituale vorhaben, verstehen sie es, mit allerhand Lügen und Vorwänden den Pater vom Dorf wegzuschaffen, damit sie allein und frei sind; oder sie erfinden einen Kranken, dessen Umstände sie als sehr gefährlich beschreiben, so daß der Pater, um seine Beichte zu hören, vom Dorf wegreist. Jedesmal, wenn ich zu einer Beichte ritt, fragte man mich sorgfältig: “Pater, wann kommst Du wieder? Wie lange bleibst Du weg?” Den größten Ärger konnte ich ihnen antun, wenn ich sie zu meinem Schutz als Bewachung mit auf die Reise nahm, weil sie dann, nachdem sie mich in das andere Dorf gebracht hatten, wieder zurücklaufen mußten, um an den Festlichkeiten mitzumachen….
[As often as a child died and was sewed in a palm mat and brought to me for burial, I cut open the mat in the churchyard to learn whether the child had died a natural death or from being tattooed. Whenever I learned that the child had succumbed to the torture, the parents and their assistants had to pay on the spot for their cruelty. These lashes made a greater impression than did my preachments. After but a few had received such a reward for their trouble they left off this barbarous ceremony, and the children grew up gay and healthy with their not badly formed physiognomies. If one of these Pimas, who more resemble devils than human beings were to appear in German, even the most courageous man would shudder. More, the sight of these womenfolk with a thousand different kinds of figures tattooed on their breasts and on the entire upper parts of their bodies, would certainly cause him to take flight. Certain it is that no person seeing these creatures can entertain a carnal or unchaste thought. It requires no little struggle to have dealings with such fantastic apparitions, to speak with them, to live among them, and to love them as children, when to outward appearance they are objects of abomination.
Their custom of adorning themselves I had to leave unchanged. They have various pretty earth-colors – red, green, yellow, blue, and white – which they make into balls, like our lacquer balls. When they wish to appear in all their splendor they dip these balls in water and dab themselves from the throat to the lower belly with different colored rows of dollar-sized dots. Or they may stir the colors in water and draw straight or zig-zag lines on the body with their fingers so that from a distance they appear to be dressed in calamanco. One thigh is red, the other yellow; one half white, the other blue; the feet are coal black, the forehead yellow, the eyes are ringed with black, the nose is blue, the cheeks green, and the chin white. They braid little horns into their hair and to them attach cock-feathers.
Much time and patience is spent in this primping, though this is done only for the most important celebrations. With kind words I made this painting odious to them. They themselves recognized that they were acting foolishly, since they spent so much time in painting themselves and then immediately afterwards washed themselves in a brook. However, there were tribes who would never permit their daily adornment to be taken from them, who got themselves up in shining lacquer, and who always carried it with them.
Another form of painting which turns out very frighteningly is used when they go to war against the enemy, so that they will appear the more fearsome to him.
(201) Diese Indianer sind sehr stolz auf ihre Waffen, gehen niemals ohne diese aufs Feld, ja auch dem Verstorbenen geben sie ihre Bogen und Pfeile mit ins Grab, damit er sich auf der Reise schützen kann. Sie sind sehr besorgt, sobald sie merken, daß ein Kranker sterben wird, ihre Waffen aus den Hütten zu bringen und anderswo unterzubringen. Auch ihre hochschwangeren Frauen stoßen sie aus dem Haus und wollen auf keinen Fall zulassen, daß sie darin gebären.
(202) Mehr als einmal habe ich solche elenden Frauen in Geburtsnöten unter einem Baum im Wald angetroffen, wo einige andere alte Frauen die Gebärende unter den Armen mit Stricken an einen Baum gebunden und aufgehängt hatten und so lange quälten, bis diese (das Kind) geboren hatte. Diesen barbarischen Hebammendienst und die Verstoßung aus dem Haus verbesserte ich mit einigen Peitschenhieben und schaffte es, daß die Frauen, auch wenn (selbst) ungern, sich in ihren Hütten aufhalten mußten. Die Indianer (die Männer) flüchteten sich mit ihren Waffen an einen anderen Ort. Die Kindbetterin (d.h. die junge Mutter) hat keinen einzigen Tag Schonung; der Mann läuft davon und sie kriechen oft bald nach der Geburt an den Bach, waschen oder baden sich in kaltem Wasser und gehen dann frisch und munter am nächsten Tag zur schwersten Arbeit, z.B. Holz tragen oder Mais auf einem Stein mahlen. Ich konnte mit vielen Zureden sie kaum dazu bewegen (veranlassen), daß sie sich 3 oder 4 Tage zu Hause aufhielten. Mit einer Tasse Schokolade, die ich ihnen schickte, vergaßen sie alle Geburtsschmerzen. Nach der Geburt wollten meine Pimas nicht mehr in einer solchen Hütte wohnen und suchten allerhand Vorwände, sie niederzureißen oder absichtlich baufällig zu machen; ja sie steckten sie in Brand und waren nicht ärgerlich darum, an einem neuen Platz ihre Wohnung aufzuschlagen. Dies machten sie jedesmal (auch), wenn jemand in einem Haus starb. Ich wußte am Anfang gar nicht, warum so viele Feuerbrände im Dorf entstanden, besonders weil die Indianer ganz gleichgültig dem Brand zusahen. Ich kam aber dahinter, weil sie mir gestanden, sie hätten keine Lust mehr, am alten Ort zu wohnen, weil der Tod ihr Haus gefunden habe und sie ihm ausweichen wollten, damit er sie nicht in der früheren Wohnung besuche.
Diese ständige Änderung der Hütten machten mich ganz irr, da ich niemals wußte, wo einer wohnte. Sie glaubten, der Verstorbene käme jederzeit in seine alte Wohnung zurück. Weil ich das Verbrennen der einzeln stehenden Häuser verbot und sie dazu zwang, ihre alten Wohnungen wieder zu beziehen, lernten sie allmählich, Teile ihrer Häuser wieder neu zu machen, ihnen eine andere Gestalt zu geben und den Boden tief auszugraben, damit ja der Tod das Haus als ein anderes ansehen sollte (203).
(205) Fast überall pflegen sie den Verstorbenen allerhand Sachen mit ins Grab zu geben; den Frauen geben sie einen langen Stein mit, mit dem sie während ihres ganzen Lebens auf einer Platte Mais zerquetscht oder gemahlen hatten. Einem Indianer, der sich um die Pferde gekümmert hatte, legten wir außer Teppichen, in den er eingehüllt war (206), einen ganz neuen Mantel, Sattel, Steigbügel und Zaum bei. Weil dieser am Tag zuvor gestorben war, scharrten sie alles mit ihm in die Erde.
Im Krieg ziehen sie die Ermordeten aus und lassen sie unbegraben liegen, nachdem sie ihnen die Haut mitsamt den Haaren vom Kopf gerissen haben; diese bringen sie als Siegesbeute mit. Für drei Nächte hintereinander wird bei einem großen Feuer, besonders von Frauen und Kindern, die um diese auf einer Stange aufgesteckten Skalpelle (Skalptur) herumtanzen, diese mit unangenehmem Gesang und Lobsprüchen auf ihre Landsleute gefeiert. Durch einen Boten schicken sie diese Haarhaube von Dorf zu Dorf in ihrer ganzen Nation herum, um sich bei den anderen zu brüsten und als tapfere Leute, die dem Feind einen Schaden verursachen, angesehen zu werden. Der Bote bringt ihnen viele Glückwünsche zurück, und in jedem Dorf wird dieser Haarbusch mit Tanz und Gesang geehrt. Ich brachte es endlich so weit, daß sie ihre ermordeten Feinde mit Erde überschütteteten und die Gefangenen mir lebendig übergaben….
(207) Es scheint, als ob sie sich aus Aberglauben niemals gewisse Ameisen, von denen es sehr viele Gattungen von unterschiedlicher Größe und Farbe gibt, zu töten getrauen… Eben so dummes Mitleid zeigen sie sogar gegen die schädlichsten und giftigsten Tiere, obwohl sie diese ganz leicht töten und das Land nach und nach von der allzu großen Menge befreien könnten. Die Schlangen fangen sie und haben nur Freude daran, ihnen die Zähne, die mit einem zarten Häutchen überzogen sind, worin wie in einer Blase das Gift steckt, auszureißen. Diese lassen sie wieder laufen; nur wenn der Hunger sie zu sehr plagt, streifen sie ihnen die Haut ab, wickeln sie um einen Stock, braten sie am Feuer und essen sie mit großem Appetit wie einen Aal. Ja, wer es nicht weiß, würde wegen des schneeweißen zarten Fleisches und guten Geruchs sich selbst dazu einladen. Niemals habe ich sie dazu bringen können, daß sie die giftigen Tiere wie verschiedene tödliche Spinnen, Schlangen, Vipern, Skorpione etc. umgebracht hätten.
[A nonsensical custom among them is the keeping of innumerable dogs, and to have them in the houses. Their love for their dogs is stronger than is their love for their children. My greatest annoyance was the nightly howling and barking of so many hungry dogs. Not a single one, not even the most dangerous, will they dispose of. All puppies are carefully raised; the women even nourish them with their own milk by depriving their own infants. Every man in the family has one dog or more for which he provides not a bite to eat.
The dogs seek their food in the fields, eating grass, maize, even Spanish pepper. At night they dragged off from me whatever thy could; leather, shirts, candles along with the candlesticks. These things had to be searched for either in the church yard or in the field. The Indians are not angry even when dogs eat up their victuals; indeed, they eat with them from the same dish. Because they cannot give their children any other possession as property, they give them puppies. These the children drag around all day in their arms, kissing and hugging them, and feed them as well as they can. They call the puppy vacu, and are proud of the fact that they have something of their own.]
Fragen zum Text
1. Wie reagiert Och auf die nicht-christlichen Zeremonien der Pimas?
2. Wann gebraucht Och die Peitsche? Was denken Sie dazu?
3. Erklären Sie, wo und auf welche Weise indianische Ästhetik und europäische Schönheitsideale und deutsche Arbeitsmoral aufeinanderprallten.
4. Warum fällt es Och schwer, die Indianer als Menschen anzunehmen und zu lieben? Erläutern Sie Ochs ‘Kulturballast’ und wie er mit der interkulturellen Begegnung umgeht.
5. Wie muß nach der Meinung von Och, wie nach der der Pimas eine Geburt vonstatten gehen? Beschreiben Sie die unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen, die beiden Auffassungen zugrunde liegen..
6. Beschreiben Sie die interkulturelle Dialektik, die sich in bezug auf die Umstände von Geburten zwischen Och und den Pimas abspielte.
7. Wie reagiert Och auf die Sitte der Grabbeigaben?
8. Wie denkt er über die Kriegsgebräuche der Pimas? Begründen Sie Ihre Antwort.
9. Was lernen wir über das Verhältnis der Pimas zu Insekten, Reptilien und anderen Lebewesen? Was denkt Och darüber?
10. Haben Sie auch von anderen indianischen Stämmen von der Institution des “Indianer-Hundes” gehört?
Zur Grammatik:
1. Wiederholung: Die Präpositionalpronomen
Finden Sie die Präpositionalpronomen in den nachfolgenden Sätzen. Nennen Sie die ihnen zugrundeliegenden Verben und Präpositionen ebenso wie die von ihnen ersetzten Objekte:
1.1.Der Mann läuft davon.
1.2.Auch ihre hochschwangeren Frauen stoßen sie aus dem Haus und wollen auf keinen Fall zulassen, daß sie darin gebären.
1.3.Ich konnte mit viel Zureden sie kaum dazu bewegen (veranlassen), daß sie sich 3 oder 4 Tage zu Hause aufhielten.
1.4.Ich wußte am Anfang gar nicht, warum so viele Feuerbrände im Dorf entstanden, besonders weil die Indianer ganz gleichgültig dem Brand zusahen. Ich kam aber dahinter.
4. Wiederholung: Der Konjunktiv
Bestimmen Sie welche der Verben in den folgenden Sätzen im Konjunktiv I oder im Konjunktiv II stehen. Erklären Sie den unterschiedlichen Gebrauch des Konjunktivs:
2.1.Sie gestanden, sie hätten keine Lust mehr, am alten Ort zu wohnen, weil der Tod ihr Haus gefunden habe und sie ihm ausweichen wollten, damit er sie nicht in der früheren Wohnung besuche.
Dieser Satz steht im Konjunktiv I; ‘hätten’ ist ein Konjunktiv II, der den Konjunktiv I ‘haben’ ersetzt, welcher in der 3.P.pl. mit dem Indikativ identisch ist. Es handelt sich um einen Satz in der indirekten Rede.
2.2.Sie glaubten, der Verstorbene käme jederzeit in seine alte Wohnung zurück.
Konjunktiv I der indirekten Rede.
2.3.Wer es nicht weiß, würde wegen des schneeweißen zarten Fleisches und guten Geruchs sich selbst dazu einladen.
Ein Konjunktiv II, Potentialis. Och sagte ja, daß es sich um Schlangenfleisch handelt. Er hätte auch schreiben können: wenn man es nicht wüßte.