Kapitel 5
Reisevorbereitungen
(19) Wir erwarteten daher [Och beklagt sich über schlechte Lebensverhältnisse in Spanien] mit Sehnsucht die erste Gelegenheit, uns nach Indien einzuschiffen. Im Oktober endlich, nachdem wir bei unserem Prokurator inständig gebeten hatten, uns ein Schiff zu besorgen, bot sich ein mittelgroßes Kaufmannsschiff an, uns dahin zu bringen. (20) Wir rüsteten uns daher zur Reise und fingen an, unsere aus Deutschland mitgebrachten und für die Indianer bestimmten Sachen aus unseren Fässern auszupacken. Diese Fässer durften wir nicht mitnehmen, um nicht wegen ihrer Runde und Ungleichheit mehr als den benötigten Raum im Schiff einzunehmen. Es wurde uns dagegen eine 1 1/2 Ellen lange, 1 Elle hohe und ebenso breite Kiste für jeden Priester gegeben, um seine Sachen dort einzupacken. Alle Kisten waren von der gleichen Höhe, Breite und Länge, denn man achtet genau darauf, daß nicht eine Handbreit vom Innenraum des Schiffes leer bleibt. Kisten werden an Fässer und Ballen über Ballen werden so genau aneinander geschoben, daß auch während eines Unwetters beim Hin- und Herwerfen des Schiffes sich nichts bewegen oder rollen kann. Auch wird alles gegen das Eindringen des Meerwassers … so gut aufbewahrt, daß kein Tropfen Wasser eindringen kann. Alles wird dem Kubikschuh (der Schuh zu einem Dukaten Transportgeld gerechnet) ausgemessen und bezahlt.
(28) Die Namen sowohl der Ausländer als auch der Spanier und ihre Geburtsstädte wurden in einer langen Liste in Madrid vom Hof genehmigt und an den Gubernator und indianischen Geschäftsträger nach Cadiz geschickt. Der Tag wurde bestimmt, uns in Cadiz vor die Herren Revisoren zu stellen. … Wir kamen ganz frühzeitig an und stellten uns Mann für Mann vor die Kommission. Es [saßen] mehrere Herren an einem Tisch. Diese betrachteten jeden von uns von Kopf bis Fuß; jeder mußte seinen Namen und Vaterland sagen, auch den Stand nennen, ob er Priester oder noch Laie sei, wie weit er im Studieren vorangekommen sei usw., was alles vom Sekretär aufs Papier geschrieben wurde. Hierauf wurden wir noch einmal eine Zeit lang (29) von allen angestarrt, um die Körperform und Statur eines jeden gut zu beschreiben, damit ja nicht eine andere falsche Person an ihrer Statt eingeschifft und sich in Indien einschleichen würde. Ich konnte mir kaum das Lachen verkneifen, als diese Herren uns so gravitätisch [ernsthaft] ansahen und die ganze Physiognomie dem Schreiber in die Feder diktierten, z.B.: mittelmäßige oder große Statur, großer oder kleiner Kopf, mit schwarzen oder braunen Haaren, blaue oder schwarze Augen, eingedrückte oder gebogene Nase, kleiner oder großer Mund, spitzes oder stumpfes Kinn, glattes oder blatternarbiges Gesicht, kurzer oder langer Hals etc. Alles dieses und anderes wurde, neben dem Alter, in eine Liste eingetragen. Diese Listen werden entweder schon voraus unter königlichem Siegel nach Indien geschickt oder mußten von dem Kapitän bei der dortigen Behörde abgeliefert werden, um zu sehen, ob alles genau zutreffe.
Kein Metzger beguckt sich so ein Kalb wie wir von diesen Herren angesehen und beschaut wurden.
Fragen zum Text
1. Wie nennt Och hier – im 18. Jahrhundert – Amerika?
2.Wie viele Monate hatte Och in Spanien verbracht, als ein Schiff gefunden wurde, das die Jesuiten nach Mexiko bringen würde?
3. Warum mußten die Missionare ihre Sachen von Fässern in Kisten umpacken? Konnten die Missionare viele Dinge nach Amerika mitnehmen?
4.Beschreiben Sie die Art und Weise, wie im Cadiz des 18. Jahrhunderts Pässe nach Übersee ausgestellt wurden.
Gruppenuebung zum Schreiben. Beantworten Sie diese Fragen:
1. Stellen Sie sich vor, Sie würden heute eine Schiffsreise machen. Beschreiben Sie, wie diese praktisch verlaufen würde (einschiffen, besteigen, Kabine/Kajüte suchen, Gepäck, etc.) und vergleichen Sie dies mit Ochs Darstellung.
2. Wie wurden die Jesuiten vor der Abreise überprüft und von den Bürokraten gequält (eigentlich schon gepiesackt)? Vergleichen Sie deren Qualen mit denen, die etwa Mexikaner heute an der Grenze zu den USA durchzustehen haben. Versetzen Sie sich also in einen Mexikaner.
3. Erstellen Sie eine ganz genaue Beschreibung Ihres Partners, so als ob Sie einen Pass für ihn machen würden. Welche Adjektive benutzt Och, welche sind für Sie wichtig? Machen Sie eine Liste.
4. Was meint Och mit der letzen Bemerkung?
5. Benutzen Sie in neuen Sätzen das Verb ‘sich rüsten’ und schreiben Sie etwas über die ‘Rüstungsindustrie’. Was meinen wir damit, wenn wir sagen, ein alter Mann sei immer noch ganz ‘rüstig’? Was sind ‘Rüstungsausgaben’ oder ‘Rüstungsmaßnahmen’?
Zur Grammatik
Wiederholung
Suchen Sie im Text drei Verben mit festen und sechs Verben mit trennbaren Vorsilben.
Wär’s Ihnen aufgefallen?
Och wechselt bei der Aufzählung der Körperteile, die von den Revisoren beschrieben werden, die Kasus. Er schreibt ganz deutlich in der gesprochenen Sprache. Finden Sie die genaue Stelle im Text, wo dies passiert.
Mittelmässige oder grosse Statur, grosser oder kleiner Kopf, mit schwarzen oder braunen Haaren, blaue oder schwarze Augen, …
Das Passiv
Beispiel aus dem Text:
Aktiv: Die Revisoren beschauten die Jesuiten wie Kälber.
Passiv: Die Jesuiten wurden (von den Revisoren) wie Kälber beschaut.
Wir können im Aktiv oder im Passiv über Dinge sprechen. Im Aktiv drückt das Verb die Handlung des Subjektes (hier: die Revisoren) aus. Im Passiv drückt das Verb aus, was ein/e Handelnde/r (hier: von den Revisoren) mit dem Subjekt (hier: die Jesuiten) macht. Das Subjekt des Satzes ist dieser Handlung ausgesetzt; es ist passiv.
Der oder die Handelnde eines Passivsatzes muß nicht genannt werden, kann aber mit von/durch/mit + Dativ angeschlossen werden (‘von’ für Personen, die etwas tun, ‘durch’ für nicht selbstständig handelnde Personen, ‘mit’ nur für Werkzeuge).
Im Passiv steht die Handlung im Vordergrund, nicht die handelnde Person.
Bildung der Passivform von Verben
Konjugierte Form von ‘werden’ + Partizip Perfekt des Vollverbs
Übersicht von Beispielen
Präsens: Die Jesuiten werden wie Kälber beschaut.
Imperfekt: Die Jesuiten wurden wie Kälber beschaut..
Perfekt: Die Jesuiten sind wie Kälber beschaut worden.
Plusquamperfekt: Die Jesuiten waren wie Kälber beschaut worden.
Futur I: Die Jesuiten werden wie Kälber beschaut werden.
Futur II:Die Jesuiten werden wie Kälber beschaut worden sein.
Konjunktiv I: Er sagt, die Jesuiten seien wie Kälber beschaut worden.
Anmerkung
Wird ‘werden’ als Vollverb gebraucht, lautet sein Partizip Perfekt ‘geworden:’
Du bist aber groß geworden!
Wird es als Hilfsverb in einem Passivsatz gebraucht, lautet sein Partizip ‘worden.’
Och ist nach Würzburg gebracht worden.
Bildung des Partizips Perfekt regelmäßiger Verben:
a. ohne Vorsilbe: ge + Stamm + t: reisen >> ge-reis-t
b. mit fester Vorsilbe: Vorsilbe + Stamm + t bereist >> be-reis-t
c. mit trennbarer Vorsilbe: Vorsilbe + ge + Stamm + t ab-ge-reis-t
Bildung des Partizips Perfekt unregelmäßiger Verben:
Die Vorsilben verhalten sich genauso wie bei den regelmäßigen Verben; der Stamm ist dem Ablaut unterworfen; die Endung ist -en. Wegen des Ablauts lernt man diese Formen am besten anhand einer Verbentabelle auswendig.
Beispiele: nehmen >> ge-nomm-en
versterben >> ver-storb-en
ausnehmen >> aus-ge-nomm-en
Vorsicht:
‘Werden’ im Passiv (+ Partizip Perfekt) ist nicht zu verwechseln mit ‘werden’ im Futur (+ Infinitiv) oder ‘werden’ als Vollverb in der Bedeutung von ‘become.’
Übungen
1. Geben Sie die folgenden Passivsätze im Aktiv wieder. Das Subjekt des Passivsatzes wird zum Akkusativobjekt des Aktivsatzes. Das Subjekt des Aktivsatzes ist der im Passivsatz mit ‘von’, ‘durch’ oder ‘mit’ angeschlossene Handelnde oder ein unpersönliches ‘man.’
1.1. Kisten werden an Kisten geschoben.
1.2. Alles wird gegen das Eindringen des Meerwassers gut aufbewahrt, daß kein Tropfen Wasser eindringen kann.
1.3. Die Namen der Reisenden sind in Madrid vom Hof genehmigt und an den Gubernator nach Cadiz geschickt worden.
1.4. Der Tag wurde bestimmt, uns in Cadiz vor die Herren Revisoren zustellen.
1.5. Hierauf wurden wir noch einmal eine Zeit lang von allen angestarrt.
1.6. Die Jesuiten sind vom spanischen König freigehalten worden.
2.Geben Sie die folgenden Aktiv-Sätze im Passiv wieder. Setzen Sie dazu das Akkusativobjekt des Aktivsatzes in den Nominativ und machen es zum Subjekt des Passivsatzes. Setzen Sie das Subjekt des Aktivsatzes in den Dativ und schliessen Sie es mit ‘von/durch/mit’ an; wenn es zu nichtssagend ist, lassen Sie es weg.
2.1. Die spanischen Priester hielten ihre deutschen Kollegen dazu an, Spanisch zu lernen.
2.2. Der Prokurator besorgte den Missionaren ein Schiff. (Beginnen Sie mit: Den Missionaren …
2.3. Die Kommission betrachtete alle von Kopf bis Fuß.
2.4. Die Herren Revisoren beschrieben Körperform und Statur eines jeden Reisenden.
2.5. Der spanische König verpflegte die Priester nicht ausreichend.
Das falsche, unpersönliche Passiv
Es wurde uns eine Kiste für jeden Priester gegeben.
Alternative 1 : Uns wurde eine Kiste für jeden Priester gegeben.
Alternative 2: Man gab uns eine Kiste für jeden Priester.
Sie erinnern sich: Im Deutschen gibt es unpersönliche Konstruktionen, die mit “es” eingeleitet werden. Diese Konstruktionen drücken aus, daß etwas wie von selbst passiert. Das Verb wird betont; die Handlung steht im Vordergrund. Im Aktiv verwenden wir diese Konstruktion für das Wetter: Es schneit, es regnet. Im Passiv gibt es Sätze wie: Es wird gelacht. Es wird gekämpft.
“Es wurde uns eine Kiste für jeden Priester gegeben” ist allerdings ein falsches unpersönliches Passiv, denn wir erfahren, was gegeben wurde, nämlich eine Kiste. Der Passivsatz hat also ein Subjekt.
Übung: Schreiben Sie die folgenden Sätze in ein es-Passiv um:
1. Man achtete genau darauf, daß nicht eine Handbreit vom Innenraum des Schiffes leer bleibt.
2. Die Spanier duldeten es nicht, daß die deutschen Jesuiten deutsch oder lateinisch sprachen.
3. Man schickte den Jesuiten eine neue Anweisung für Mexiko.
4. Man warf dem König Nikolaus I. vor, viel Geschehen zu verhindern.
5. Der Prokurator besorgte den Missionaren ein Schiff.