Kapitel 7
Zu Pferd gen Mexiko
(43) Am 19. März … gingen wir ans Land und wurden mit unbeschreiblicher Höflichkeit von den Patres des Collegium zu Veracruz und unter Begleitung von viel Volk im kaum zwei Büchsenschuß vom Meer entfernt stehenden Collegium aufgenommen. Wir konnten vor Schwindel kaum auf der Straße gehen, denn wir taumelten sogar am Altar bei der Lesung der heiligen Messe… Wir brauchten daher wenigstens 8 Tage, um auszuruhen und uns zu erholen, um nachher 80 Stunden weit bis Mexiko auf schlimmen Wegen auf Mauleseln reisen zu können, wo wir noch vor der Karwoche eintreffen wollten.
(45) Nachdem wir 8 Tage ausgeruht hatten, mußten wir uns darum bemühen, teils auf Pferden, teils auf Maultieren weiterzureisen. Für 42 Personen Matratzen [Betten], Gepäck und Fässer aufzutreiben, war unmöglich, wir mußten uns daher in kleine Karawanen zu 12 aufteilen und unsere Lebensmittel mitführen. Wir 12 Priester ritten voran. Keiner von uns allen, ausgenommen Pater Ignaz Pfefferkorn von Mannheim, der [aber] das Reiten nicht schulmäßig gelernt hatte, hatte jemals in seinem Leben ein Pferd bestiegen. Diese Tiere waren zu elend und mager, als daß sie, weil auf 2 bis 3 Stunden kein grünes Gras wächst, auf den Beinen stehen konnten. Zügel und Zaumzeug waren ein paar alte Riemen aus rohem Leder; der Sattel bestand aus Brettern und war mit Leder überzogen… Alle, die keine Reiterfahrung hatten, hatten Angst vor diesem Reiten. In der heißesten Jahreszeit marschierten wir durch reinen Sand, und nach 4 Stunden durch wildwachsendes Gebüsch, Sträucher und nicht ausgehauenen Wald, in welchem sich einige verloren und bis spät in die Nacht hinein gesucht werden mußten.
Wir kamen endlich alle, fast ganz wundgeritten, in Veracruz la Virja in später Nacht an. Keiner von uns konnte absteigen oder gehen. Wir krochen so gut wie wir konnten in die entfernte Herberge. Alle Häuser sind aus armdicken hölzernen Röhren gebaut, um etwas frische Luft zu haben… Wir waren auf der Reise von den schwarmweise anklebenden Moskitos und kleinen Saugmücken bedeckt gewesen, die das Blut aus den Händen und dem Gesicht saugten. Wir sahen uns mit Verwunderung an und konnten einander kaum selbst erkennen, so aufgeschwollen und entstellt waren die Gesichter….
(47) Da wir uns eben in der heißesten Jahreszeit befanden, reisten wir bei noch nicht angebrochenem Tag in der Kühle ab, um spätestens gegen 10 Uhr an einem Ort einzutreffen. Die Wege, die wir passieren mußten, waren hohe Felsen und Klippen, wo auf beiden Seiten schreckliche Abgründe und Sturzabfälle zu befürchten waren. Die Maultiere kletterten Schritt für Schritt. Die Fußtritte sind wegen des andauernden Hin- und Herreisens fast handtief in die Felsen gedrückt, und die einzeln hintereinander gehenden Maultiere setzen ihre Füße in diese ausgehöhlten Löcher, um sich darin fester zu halten.
Immer wenn wir durch ein indianisches Dorf zogen, wurden wir mit Freudensbezeugungen, mit Hörnern, Pfeiffen, Trommeln und Tänzen vom Volk begrüßt.
(49) Wir kamen endlich auf angenehmeren Wegen nach Ozumba…, wo wir einen Tag sehr gut bewirtet und mit großer Freude von den Unsrigen begrüßt wurden, wobei die Indianer den ganzen Tag über uns mit ihrer indianischen Musik beehrten und manchmal betäubten. Inzwischen kamen die anderen hinter uns marschierenden Karawanen hier an… Nach drei Tagen bekamen Pater Pfefferkorn, Pater Gerstner und ich Befehle, hier zu bleiben. Man wollte uns 3, auf inständiges Bitten des Bischofs von Kuba, der Deutsche [Missionare] verlangte, wieder nach Veracruz bringen und nach Puerto Principe auf die Insel Kuba verschiffen, was aber später geändert wurde. Die übrigen brachen auf und marschierten 24 Stunden weiter bis Mexiko…
Fragen zum Text
1. Was fiel den Seereisenden sehr schwer, als sie festes Land betraten?
2.Beschreiben Sie, wie die Missionare zu Land weiterreisen.
3. Woran wird deutlich, daß sich die Jesuiten in einer sub(?)tropischen Klimazone befinden?
4. Können Sie sich vorstellen, warum die indianische Bevölkerung die Jesuiten mit so großer Freude begrüßte?
Zur Grammatik: Partizipien als Adjektive und Substantive
Beispiele aus dem Text:
Partizip Präsens: das zwei Büchsenschuß vom Meer stehende Collegium
Partizip Perfekt: ausgenommen Pater Pfefferkorn aus Mannheim
Partizipien werden von Verben abgeleitet. Wir unterscheiden Partizip Präsens und Partizip Perfekt. Das Partizip Präsens wird als Adjektiv und Substantiv gebraucht, das Partizip Perfekt dazu auch im Perfekt, im Plusquamperfekt und im Passiv. An dieser Stelle befassen wir uns mit dem Gebrauch der Partizipien als Adjektive.
Das Partizip Präsens ist aktivisch: Es drückt aus, daß der Gegenstand/die Person selbst handelt. Die Handlung des Partizips geschieht gleichzeitig mit der vom Vollverb ausgedrückten Handlung. Das Partizip Perfekt ist passivisch: Es drückt aus, daß der Gegenstand/die Person einer Handlung unterworfen wurde. Diese Handlung ist zum Zeitpunkt der Satzaussage bereits abgeschlossen.
Als Adjektive können beide Partizipien attributiv (vor einem Substantiv) und prädikativ (zusammen mit ‘sein’) gebraucht werden. Attributiv müssen sie wie andere Adjektive dekliniert werden. Etwaige Objekte des Partizips gehen diesem voran. Objekt + Partizip in attributiver Stellung entsprechen einem verkürzten Relativsatz.
Attributiv: die von Moskitos bedeckten Reisenden
Prädikativ:die Reisenden sind von Moskitos bedeckt
Relativsätze:Die Reisenden, die von Moskitos bedeckt sind, …
Die Reisenden, die von Moskitos bedeckt waren, …
Bildung der Partizipien
Partizip Präsens: Infinitiv + d stehen >> stehend
Partizip Perfekt regelmäßiger Verben:
a. ohne Präfixe: ge + Stamm + t: reisen >> ge-reis-t
b. mit fester Vorsilbe: Vorsilbe + Stamm + t bereisen >> be-reis-t
c. mit trennbarer Vorsilbe: Vorsilbe + ge + Stamm + t abreisen >> ab-ge-reis-t
Partizip Perfekt unregelmäßiger Verben:
a. ohne Präfix:ge – Präteritumstamm – enstehen >> ge-stand-en
b. mit fester Vorsilbe: Vorsilbe – Prät.Stamm – enverstehen >> ver-stand-en
c. mit trennbarer Vorsilbe: Vorsilbe – Pr.Stamm – enausstehen >> aus-ge-stand-en
(Wegen des Ablauts lernt man diese Formen am besten anhand einer Verbentabelle auswendig).
Wir substantivieren Partizipien, indem wir ihnen einen Artikel eines Geschlechts unserer Wahl – männlich, weiblich, sächlich – voranstellen, das Wort großschreiben, und ein ‘e’ an das Wortende fügen. Die dabei entstehenden Ausdrücke haben oft eine ganz spezifische Bedeutung.
reisen >>> der, die Reisend-e – the traveler
senden >>> der, die Gesandt-e – the ambassador
Übungen
1. Finden Sie im Lesetext sechs Formen des Partizips Präsens und sieben Formen des Partizips Perfekt. Von welchem Infinitiv sind sie abgeleitet? Handelt es sich um ein regelmäßiges oder um ein unregelmäßiges Verb?
2.Formen Sie das Partizip Präsens in ein Partizip Perfekt um. Erklären Sie den Bedeutungsunterschied zwischen beiden Formen.
Beispiel: das abkühlende Frühstück > das abgekühlte Frühstück
Im ersten Fall wird das Frühstück gerade kälter oder kühlt jemanden ab; im zweiten Fall ist es schon kalt.
2.1.die wildwachsenden Büsche
2.2.die den Reisenden anklebenden Moskitos
2.3.der versterbende Kapitän
2.4.der anbrechende Weihnachtstag
2.5.die an Land gehenden Passagiere
3. Formen Sie das Partizip Perfekt in ein Partizip Präsens um. Erklären Sie den dabei entstehenden Bedeutungsunterschied. Entscheiden Sie, ob der Ausdruck noch sinnvoll ist oder nicht.
3.1.der angebrochene Tag
3.2.die aufgeschwollenen Gesichter
3.3.die entstellten Gesichter
3.4.die abgebrochenen Äste
3.5.diese ausgehöhlten Löcher
4.Formen Sie die Relativsätze in Partizipialkonstruktionen um. Vergessen Sie nicht, die Partizipien zu deklinieren..
Beispiel:Alle Pakete, die für Havanna bestimmt waren, fielen ins Wasser.
Alle für Havanna bestimmten Pakete fielen ins Wasser.
4.1.Och, der 1767 nach Würzburg zurückgekehrt war, hatte viel zu erzählen.
4.2.Der Verfasser, der anfänglich für Paraguay bestimmt war, reiste schließlich nach Neuspanien.
4.3.Och, der an einem Herzinfarkt verstarb, hatte die Stelle eines Glaubenspredigers der Gesellschaft Jesu eingenommen.
4.4.Die Jesuiten, die nach Peru gesandt wurden, waren Deutsche.
4.5.Ochs Mitteilungen, die 1809 von Murr herausgegeben wurden, sind noch heute interessant.
4.6.Der Orden der Jesuiten, der im 18. Jahrhundert aufgehoben wurde, besteht heute wieder.
5. Bestimmen Sie, ob es sich bei den nachfolgenden Partizipien um ein Partizip Präsens oder ein Partizip Perfekt handelt. Lösen Sie die nachfolgenden Strukturen in Relativsätze auf.
Beispiel: die für die indianischen Missionen bestimmten Missionare: Partizip. Perf..
Die Missionare, die für die indianischen Missionen bestimmt waren,
5.1.das von Christoph Gottlieb von Murr herausgegebene Buch
5.2.Der Verfasser ist der an einem Herzinfarkt verstorbene Pater Joseph Och.
5.3.dieses abkühlende Frühstück
5.4.Kapitän Sherwell nahm weinend von uns Abschied.
5.5.die mit vielen tausend Melonen beladenen Schiffe …
5.6.Briefe werden auf die oben beschriebene Weise befördert.
5.7.Die vorher aufgenommenen Passagiere wurden aufgefordert, sich sogleich an Bord einzufinden.
6. “Die Böhmen wurden wütend.” Erkennen Sie den partizipialen Ursprung des Adjektivs in diesem Satz? Lösen Sie das Adjektiv in einen Relativsatz auf und schlagen Sie das dem Partizip zugrundeliegende Verb in einem Wörterbuch nach. Sie werden sehen, wie sehr sich die Bedeutung des Adjektivs im Laufe der Sprachgeschichte abgeschwächt hat.